Gedächtnisprotokoll mündliche Überprüfung Heilpraktiker für Psychotherapie
Gesundheitsamt Ansbach, Mai 2023
Das Gespräch ist nicht wortwörtlich, sondern nur grob im Wortlaut wiedergegeben.
Mein Überprüfungstermin war am späten Vormittag. Ich war ca. 1 Stunde vorher da, was mir genügend Zeit gab, um einen Parkplatz zu suchen (es gibt ca. 10 Stellplätze vor dem Gesundheitsamt), mir noch einmal die Beine zu vertreten, mich frisch zu machen und ein paar Entspannungsübungen zu machen. Ca. 20 Min. vor Beginn betrat ich das Gesundheitsamt.
Ich wurde abgeholt und in ein Wartezimmer begleitet. Dort bat man mich nach meinem Ausweis und erklärte mir, dass ich abgeholt würde und dann meine Tasche im Bürozimmer nebenan abgeben solle.
Abgeholt wurde ich von einem Mann, den ich um die 60 schätzte, freundlich und dynamisch wirkte, der sich mir aber nicht persönlich vorstellte (oder ich hatte es in der Aufregung überhört; ich nenne ihn hier „Leiter“). Er führte mich in einen Raum, wo noch ein Mann mittleren Alters (hier „Beisitzer 1“ genannt) sowie eine jüngere Frau in der 3er-Tischreihe saßen, der dem Tisch gegenüberstand, wo ich Platz nehmen durfte. Die beiden Anwesenden stellten sich mir auch nicht persönlich vor. Beisitzer 1 wirkte sehr freundlich, die Frau sehr zurückhaltend und abwartend. Um es vorwegzunehmen: die Frau sagte während der ganzen Überprüfung nichts.
Ich bekam Blatt und Stift gestellt und musste noch eine Unterschrift abgeben, dass ich einem Protokoll zustimmte (soweit ich mich erinnere).
Noch bevor der Leiter wieder an seinem Platz war sagte er im Gehen locker über die Schulter zu mir: „Jetzt bin ich schon einmal neugierig. Wie kommen Sie denn darauf, Heilpraktikerin für Psychotherapie (ff. HPP) zu werden? Ihrem Lebenslauf zu folge weist ja gar nichts darauf hin.“
Diese Frage hatte ich natürlich erwartet. Lächelnd antwortete ich auch genau das: „Ich habe erwartet, dass Sie mich das fragen und stimme Ihnen zu. Aus meinem Lebenslauf geht das nicht hervor.“
Ich habe 15 Jahre in der freien Wirtschaft in einer Unternehmens- und einer Personalberatung gearbeitet, bevor ich mich als Yogalehrerin selbständig machte. Ich holte ein wenig aus und erklärte, dass es mich während meinen Tätigkeiten in internationalen Großkonzernen schon immer fasziniert hatte, warum manche Menschen mit Druck, Stress und höchsten Leistungsanforderungen gut umgehen können und manche daran zerbrechen und psychisch krank werden. Soweit meine Einleitung und die Schleife in die Vergangenheit. Dann erzählte ich, dass ich im Jahr 2020 plötzlich gekündigt wurde und in einer Anpassungsstörung landete. In dieser Zeit holte ich mir professionelle Hilfe von einem psychologischen Psychotherapeuten und durfte erfahren, wie hilfreich und ressourcenorientiert ich die Verhaltenstherapie empfand. Bei mir sei es naheliegend gewesen, mich daraufhin als Yogalehrerin selbständig zu machen, da ich dies schon lange Zeit nebenberuflich ausgeführt hatte. Weiter erzählte ich, dass mir das nicht reichte, weil ich neben dem körperlichen Aspekt, auf dem beim Yoga der Fokus liegt (spirituell habe ich natürlich nicht erwähnt) auch die psychische Seite der Menschen besser verstehen wollte. …
“ob ich dann meine Yogaschüler therapieren wolle…“ (Leiter). „Natürlich nicht, aber ich möchte gerne auch da, wo ich merke, dass ich an die Grenze zwischen gesund und krank stoße, mit Menschen arbeiten dürfen. Meine Klientel suche ich dennoch außerhalb meines Yogastudios“. Damit war er zufrieden.
Ob ich zukünftig in eigener Praxis tätig sein wolle war die nächste Frage. Ein klares JA von mir.
Dann wollte er schon übergehen zum nächsten Teil, ich merkte, dass ihnen die Einleitung zu lange dauerte. Trotzdem rundete ich noch ab, dass ich mich in der Verhaltenstherapie und in MBSR weitergebildet hatte und dass das auch die Methoden seien, mit denen ich zukünftig gerne arbeiten wolle.
Es folgte eine Erklärung, dass ich nun ein Fallbeispiel bekommen würde (ich hatte zwischen den Zeilen gehört, dass das in Ansbach so üblich wäre). Mir wurde ein Blatt mit ca. einer halben Seite Text ausgehändigt, ich solle mir das in Ruhe durchlesen und könne mir auch Notizen machen. Dann würden sie von mir gerne Symptome, eine Verdachtsdiagnose sowie Differentialdiagnosen hören.
Ich fühlte mich irgendwie unter Zeitdruck, obwohl kein Druck von den Prüfern aufgebaut wurde. Notizen machte ich mir auch keine, außer „SOSP“, welches ich auf keinen Fall vergessen wollte. Ich unterstrich die aus meiner Sicht wichtigen Infos im Text und sagte dann nach kurzer Zeit ich würde jetzt anfangen.
Der Fall lautete kurz gefasst in etwa so (die Zeiten habe ich nicht mehr genau im Kopf):
Ein 28-jähriger Mann, Herr Ö., türkischer Abstammung und mit gebrochenem Deutsch, kommt in die Praxis und schildert, dass er seit ca. 1,5 Jahren in Deutschland sei und wechselnde Beschwerden wie Kopfschmerzen und Schmerzen im Bauch sowie Schwindel habe, außerdem schlecht schlafen könne, erschöpft sei und sich viele Sorgen mache. Vor 2 Monaten war er für 2 Wochen im Urlaub zuhause in der Türkei gewesen, nach seiner Rückkunft seien die Beschwerden stärker geworden. Er musste eine einfache Arbeit auf dem Bau annehmen, da er in seinem Bereich als Schreiner in Deutschland keine Arbeit gefunden hatte. Er habe kaum Kontakt zu anderen aufgrund seiner Sprachschwierigkeiten. Manchmal denke er es sei besser, gar nicht mehr aufzuwachen, dann wäre er seine Sorgen los.
Ich begann mit der Aufzählung der Symptome und - obwohl in meinem Hinterkopf dauernd die Aufforderung nach der Abklärung des psychopathologischen Befundes kam – sagte ich gerade heraus: „Die vielen unterschiedlichen Symptome lassen mich an eine Somatisierungsstörung denken. Was hier aber nicht passt, ist das Zeitkriterium mit 1,5 Jahren.“
Leiter: „Welches Zeitkriterium müsste es denn für die Somatisierungsstörung sein?“
Ich: „Mind. 2 Jahre, das ist hier nicht gegeben. Daher schließe ich das aus (DD). Als nächstes denke ich an eine Anpassungsstörung, ausgelöst durch das belastende Lebensereignis, den Wechsel nach Deutschland. Hierzu würden auch die Schlafstörungen und die weiteren Symptome passen. Allerdings würde ich hierfür gerne noch einmal den psychopathologischen Befund durchgehen, um die Diagnose zu sichern und gegen eine depressive Episode abzugrenzen.“
Und schwupps, war ich in einem Rollenspiel mit dem Beisitzer 1, der mir nun sagte, er sei Herr Ö. und ich könne ihm nun Fragen stellen. Er erklärte, dass er bei mir sei, weil ihn ein Arbeitskollege geschickt habe, und er wüsste nicht, ob ich ihm nun helfen könne.
Ich begann erst mal, ihn „abzuholen“ und eine therapeutische Beziehung aufzubauen, begrüßte dass er diesen Schritt gemacht habe, und sagte ihm, dass ich nicht versprechen könne, seine Probleme zu lösen, aber gerne mit ihm gemeinsam schauen würde, welche Unterstützung ich ihm geben könnte. Das hat glaube ich ganz gut gepasst, weil ich so tatsächlich in eine Beziehung mit dem Beisitzer 1 kam.
Ich fragte ihn noch einmal nach seinen Symptomen, und ob er diese bereits einmal ärztlich hat abklären lassen. Dies wurde bejaht, keine organische Ursache. Der Arzt hätte sich auch gar nicht viel Zeit genommen.
Als nächstes wollte ich das depressive Syndrom abklären, fragte ihn also nach seinem Antrieb, seinen Interessen und seiner Stimmung. Er käme morgens schlecht in die Gänge, weil er ja auch schlecht
schlafe. Wann er denn aufwache, fragte ich ihn. So ca. 1 Stunde vor der regulären Aufstehzeit. Dann ging ich bei der Gelegenheit näher auf den Schlaf ein. Wie die Schlafstörungen seien, ob er schlecht einschlafen könne oder eher nachts wach werde oder Alpträume habe. Er könne schlecht einschlafen, weil er sich ja so viele Sorgen mache. Ob diese Sorgen immer da wären, oder nur vor dem Einschlafen (im Hinterkopf hatte ich generalisierte Angststörung und PTBS, die ich abgrenzen wollte), und über was er sich Sorgen mache. Meistens nur vor dem Einschlafen, Sorgen wie das alles wird, und ob es jemals wieder besser wird. Hier fragte ich näher nach, was er denn genau damit meine (ob es …wieder besser wird, was dieses „es“ sei). Naja, die Gesamtsituation, das mit seinen Schmerzen und seiner Erschöpfung und seinem Job… Die Antwort war recht vage gehalten. Ich ging nochmal zurück zum Schlaf und fragte ihn ob er Medikamente, Schlafmittel oder ähnliches zu sich nähme (hatte Alkohol und Drogen im Kopf, hat aber an der Stelle irgendwie nicht gepasst, habe ich dann später noch abgefragt). Ob es Zeiten gäbe, wo die Schmerzen besser wären oder ob sie immer da seien. Ja, wenn er mit seiner Familie zuhause in der Türkei telefonierte, dann wäre es besser. (im Hinterkopf hatte ich noch immer somatoforme Störungen, das Verhalten des Patienten hat aber dazu nicht gepasst, keine häufigen Arztbesuche, kein checking Verhalten etc.)
Ich ging zurück zur Abklärung des Interesses, fragte, was er denn in seiner Freizeit mache, ob er Hobbys hätte. Dies wurde verneint, weil er keine Zeit neben der Arbeit habe. Wenn er nach Hause komme, würde er noch ein wenig im Internet surfen (dachte an Spielsucht, er gab mir aber nicht den Anlass das weiter zu vertiefen). Ob er denn einmal versucht habe einen Sprachkurs o.ä. zu machen, da er ja mit der Sprache Probleme habe und auch kaum soziale Kontakte. Das wurde auch verneint. Hier fragte ich nochmal weiter, wie denn sein soziales Umfeld aussähe, ob es Freunde etc. gäbe. Nein, nur die Familie in der Türkei, mit der er regelmäßig telefonierte.
Der Leiter warf hier ein, an was ich konkret dachte, ich ging wieder auf die Metaebene und erklärte, dass ich eine depressive Episode ausschließen möchte, vor allem, weil mich der letzte Satz mit den Suizidgedanken natürlich wachsam sein ließ. Er ließ mich weiter im Rollenspiel agieren.
Ich ging nun auf diesen Satz ein und sagte zu Herrn Ö., dass es ihm möglicherweise komisch erscheinen mag, was ich ihn nun fragen werde, das aber zu meiner Sorgfaltspflicht gehöre und ich daher gerne von ihm wissen möchte, ob er an Suizid denke. Er erklärte, dass er schon manchmal daran denken würde, wie es wäre nicht mehr aufzuwachen, dass er aber keine konkreten Suizidabsichten hätte. Ob er sich von diesen Gedanken distanzieren könne – JA. Was es in seinem Leben gäbe, das für ihn einen Sinn gibt, was es wert macht zu leben. Seine Familie. Für mich war dann das Thema Suizid erstmal soweit „vom Tisch“.
Zu dem Zeitpunkt war ich schon ziemlich tief im Rollenspiel angekommen, hatte aber trotzdem noch viele Punkte des psychopathologischen Befundes im Hinterkopf, die ich noch abklären wollte (Anzeichen für psychotische Zustände zB).
Der Leiter schaltete sich wieder ein, wo ich denn mit meiner Verdachtsdiagnose stehen würde. Wieder sagte ich, dass ich die Anpassungsstörung mit längerer depressiver Reaktion und die depressive Episode im Kopf hätte. Ob ich denn jetzt 2 Diagnosen stellen wolle. Nein. Er sagte, es gäbe einen Hinweis im Text, und ich solle nochmal nachschauen. Da kam es mir: der Urlaub! Jemand, mit einer Depression würde nicht in den Urlaub fahren. Das wollte er hören.
Also Anpassungsstörung mit längerer depressiver Reaktion, sagte ich. Das passte.
Dann meinte der Leiter, dass wir nun noch weiter im psychopathologischen Befund gehen könnten, aber das zu lange dauern würde. Daher würden sie nun gerne von mir wissen, was ich denn nun mit Herrn Ö. machen würde.
Dies war die Einladung über die Verhaltenstherapie zu erzählen.
Ich ging erst mal in die Psychoedukation, erklärte Herrn Ö., dass sein Umzug nach Deutschland ein großer Einschnitt in seinem Leben war, und seine Symptome Ausdruck der Verarbeitung seien. Weiter, dass er diese Situation im Moment so nicht ändern könne (wenn ich ihn richtig verstanden hatte) und es daher wichtig sei, dass er akzeptiere, dass er nun in Deutschland lebe und er wählen könne, wie er mit dieser Situation umgehen möchte. Ich betonte, dass ich verstehen würde, dass er seine Familie und Heimat vermisste (Empathie), er aber auch verantwortlich sei, ob er weiterhin leiden wolle oder sein Leben in die Hand nehmen wolle (ganz so hart habe ich es nicht ausgedrückt, aber so sinngemäß).
Ich würde ihn ermutigen, einen Sprachkurs zu besuchen, um sozial Anschluss zu finden und auch sein Deutsch zu verbessern, um sich sicherer zu fühlen.
Hier der Einwurf des Leiters, das höre sich ja eher nach Beratung an.
Stimmt, antwortete ich, es wäre aus meiner Sicht aber auch wichtig. Den Wink mit dem Zaunpfahl verstand ich natürlich, ging also spezifischer auf die VT ein: Aufdecken unbewusster Glaubenssätze. Hier gleich die Frage des Leiters, welcher Glaubenssatz denn bei Herrn Ö. vorliegen könnte. Ich sagte z.B.: „Weil mein Deutsch zu schlecht ist, bin ich hier nicht willkommen“. Damit war er zufrieden.
Dysfunktionale Gedanken aufdecken, verändern, anwenden (ABC-Schema wollten sie hören). Erklärte nochmal, dass diese dysfunktionalen Gedanken oft ein automatisiertes Verhalten auslösen würden und es deshalb so wichtig sei, diese Gedanken zu kennen, um sie – und dann auch das Verhalten – umzustrukturieren und zu verändern.
Ging noch ein wenig auf die 3. Welle der VT/ACT ein (Defusion, Akzeptanz, Werte, engagiertes Handeln, etc.). Und auf die Achtsamkeit (MBSR). Das hat gepasst. Dann meinte der Leiter wieder, was ich Herrn Ö. denn noch ans Herz legen könne. Entspannungsverfahren war hier die richtige Antwort. PMR, AT, etc. „PMR wird sich auf der Baustelle aber schwierig gestalten“, sagte er dann lachend. Ich sagte, dass ich es Herrn Ö. eher für zuhause empfehlen würde. Aber das Eis war schon gebrochen, und ich merkte, dass meine Antworten ausreichend waren. Es gab kurzes Schweigen, dann schaute er zu seinen Kollegen und meinte: „Ich glaube das passt soweit. Wir könnten natürlich nochmal auf das Thema Suizid eingehen, da uns bewusst ist, dass das Thema auch in der Prüfungsvorbereitung immer sehr wichtig genommen wird, aber das sparen wir uns jetzt, dazu wissen Sie sicher auch alles.“
Dann baten sie mich vor die Türe und kurz zu warten. Nach kurzer Zeit wurde ich wieder hereingeholt und vom Leiter gefragt: „Und, wie fanden Sie sich?“ „Gut“, sagte ich. Und dann sagte er „Das ist gut, dass Sie sich gut fanden, denn wir fanden Sie auch gut.“ Ich bedankte mich strahlend, und die beiden Herren wünschten mir noch alles Gute. Freundliches Kopfnicken der Frau.
Im Nachhinein wäre ich gerne noch strukturierter den Psychopathologischen Befund durchgegangen, und hätte eigentlich schon viel früher klar die Anpassungsstörung nennen können. Ich hatte aber den Eindruck, dass das schnelle Eintauchen in die Therapeutenrolle, das authentische und nicht gespielte Fragen und empathische Eingehen auf den Patienten und die Freude die ich dabei ausstrahlte die Prüfer überzeugt hat. Die Überprüfung hat ca. 35 Min. gedauert.
Viel Erfolg und Freude wünsche ich auch Dir!