2024/04 Würzburg



Gedächtnisprotokoll/Erfahrungsbericht
meiner Überprüfung zum HPP
(18.04.24 in Würzburg)
Ich war etwa 10 Minuten vor der geforderten Zeit am angegebenen Büro im ersten Stock. Eine nicht
besonders enthusiastische (eher schroffe) Dame ließ mich dort meinen Personalausweis vorzeigen und
erledigte die ersten bürokratischen Themen mit mir. Sie war auch eher genervt, als ich ihr davon berichtete, dass die Männertoilette abgeschlossen sei und ich mich nach der nächsten Toilette erkundigte.
Anschließend wurde ich gebeten, vor dem Büro Platz zu nehmen. Dort wartete ich ca. eine Viertelstunde und wurde dann von einer sehr netten und zugewandten Dame abgeholt und zum Sitzungssaal begleitet, in dem die Überprüfung stattfinden sollte. Sie erkundigte sich danach, wie es mir gehe und wir hatten einen angenehmen Small Talk, bei dem ich mich sehr freundlich abgeholt fühlte. Dann bat sie mich (so läuft es in Würzburg), noch einmal vor dem Saal Platz zu nehmen und ihr meine Fort- und Weiterbildungszertifikate mitzugeben, sodass die Prüfer:innen sich die Dokumente bereits im Vorfeld anschauen konnten. Daraufhin wartete ich vor dem Prüfungszimmer noch einmal etwa 5 Minuten, bevor ich die selbe Dame schließlich in das Zimmer bat.
Dort saßen bereits die Amtsärztin und zu ihren beiden Seiten ein Beisitzer und eine Beisitzerin. Die
Atmosphäre war sehr angenehm und wohlwollend und wir konnten tatsächlich direkt miteinander lachen.
Die Dame, die mich hineinbegleitet hatte, befragte mich dann nach meinem Allgemeinzustand und erklärte das generelle Procederes (jede Prüfer:in wird für exakt 10 Minuten Fragen stellen).
Die Amtsärztin begann, mich zunächst zum Thema Sucht zu befragen (ein wohlwollender Zug, da ich in
einer psychosozialen Beratungsstelle für Suchtprobleme arbeite):

Welche Suchtmittel stehen bei Ihnen in der Beratungsstelle denn im Vordergrund?
Mit großem Abstand ist das Alkohol. Auf Platz 2 würde ich Cannabis und auf einem weit abgeschlagenen Platz 3 dann Amphetamine sehen.

Wie sind denn die generellen Diagnosekriterien für eine Sucht?
Es müssen 3 der insgesamt 6 Suchtkriterien erfüllt sein. Das wäre einmal der anhaltende Konsum trotz
eingetretener Schädigung, das starke Verlangen nach dem Suchtmittel, das auch als „Craving“ bezeichnet wird, eine Toleranzentwicklung, das Auftreten von Entzugssymptomen bei Absetzen der Substanz, der Kontrollverlust über Beginn, Dauer sowie Menge des Konsums und die Einengung auf das Suchtmittel. Das bedeutet, dass andere Aktivitäten an Bedeutung verlieren und die betroffene Person ihr Leben vordergründig nach dem Konsum ausrichtet und diesem alles andere unterordnet.
Gibt es da bestimmte Zeitkriterien?
Ja, das geschilderte Konsumverhalten muss entweder für einen Monat durchgehend bestehen oder aber im Laufe eines Jahres in wiederholten kürzeren Episoden so auftreten.

Welche Folgeerkrankungen sind bei der Alkoholabhängigkeit möglich?
Das sind zum einen körperliche und zum anderen psychische Folgeerkrankungen. Zum einen haben wir auf
Seiten der psychischen Folgen etwa nach langjährigem Konsum die Alkoholdemenz (das hat der Amtsärztin nur so halb gefallen und sie warf ein, dass das ja eher ein „Zwischending aus psychisch und körperlicher Folgeerkrankung wäre). Außerdem haben wir bei den körperlichen Folgen Schäden am Herzen, z. B. Herzrhythmusstörungen sowie an der Leber mit beispielsweise einer Leberzirrhose oder Leberkrebs. Die Bauchspeicheldrüse kann auch betroffen sein.

Wie steht es nun mit weiteren psychischen Folgen?
Da ist das alkoholbedingte amnestische Syndrom zu nennen, das auch Korsakow-Syndrom heißt. Es kann sich ebenso eine depressive Störung entwickeln und … ja, ich würde sagen, auch Ängste können auftreten (hier war ich unsicher und wechselte schnell zu einem Thema, das ich sicherer beherrschte). Natürlich ist im Rahmen des Abhängigkeitssyndroms vor allem der Entzug als gefährlich zu betrachten, denn hier können sich Komplikationen entwickeln.

Was macht den Alkoholentzug denn so gefährlich?
Da Alkohol neben einer psychischen Abhängigkeit auch eine körperliche Abhängigkeit verursachen kann, ist hier neben typischen Entzugssymptomen wie Zittern, Übelkeit, Erbrechen, Schwitzen oder Schlafstörungen auch die Gefahr eines Delirs im Alkoholentzug möglich. Das ist ein lebensbedrohlicher Notfallzustand, der unbedingt fachärztlich behandelt werden muss, da er sonst mit dem Tod enden kann.

Wie wird ein Alkoholentzug denn dann durchgeführt?
Das kann zum einen ambulant geschehen (hier verzog die Amtsärztin deutlich das Gesicht, da sie davon wohl noch niemals gehört hatte)...
Ambulant? Beim Alkoholentzug?
Ja, manche Hausärzte bieten das an, es ist aber eine große Seltenheit. Weit üblicher ist der stationäre Entzug über 1 – 2 Wochen... bei uns ist hier etwa die Psychiatrie Werneck zuständig.
Ja genau, das ist die H2-Station. Da kennen Sie sich ja wirklich gut aus. Gehen wir zu einem anderen
Thema. Sie haben sich ja in Fortbildungen auch mit dem Thema Trauma beschäftigt.

Wie diagnostiziert man denn eine posttraumatische Belastungsstörung?
Eine PTBS tritt in Folge einer oder mehrerer traumatischer Erfahrungen mit einer Latenz von einigen
Wochen bis maximal 6 Monaten auf. Sie zeigt sich über Auffälligkeiten in drei Bereichen. Erstens ist das die vegetative Übererregtheit, die dazu führen kann, dass Betroffene beispielsweise besonders schreckhaft sind oder unter Schlafstörungen leiden können. Zweitens sehen wir bei einer PTBS oft Vermeidungsverhalten.
Wenn ein Mann bei einem Verkehrsunfall beispielsweise seine Frau verloren hat, könnte es gut sein, dass er in Zukunft das Sitzen in einem Auto vermeiden oder keine Filme mehr ansehen wird, die rasante Verfolgungsjagden mit Autos zeigen. Außerdem treten bei Betroffenen oft Wiedererlebensereignisse auf, die sich in Form von Alpträumen, Intrusionen oder sogenannten  Flashbacks äußern können.

Welche besondere Gefahren bei einer PTBS gibt es?
Betroffene haben Erfahrungen von extremer Hilflosigkeit und Ausweglosigkeit erlebt. Hier ist unbedingt die mögliche Suizidgefahr zu nennen.

Was für Erkrankungen könnten sich denn noch in Folge von Traumatisierungen entwickeln?
Also hier ist die Bandbreite groß. Es gibt Menschen, die entwickeln in Folge einer traumatischen Erfahrung auf Grund ihrer Resilienz überhaupt keine Erkrankung. Dann sind da noch die dissoziativen Störungen zu nennen und außerdem eine akute Belastungsreaktion. Die Anpassungsstörung könnten wir hier eventuell mitdenken, die würde ich aber hier eher als Ausnahme betrachten (in meiner Aufregung habe ich weitere Störungen wie Persönlichkeitsstörungen, Depression und Substanzmissbrauch total vergessen, war aber nicht schlimm).

Zurück zur PTBS. Kann man diese Erkrankung denn behandeln?
Ja, sie ist sogar sehr gut behandelbar. Dazu gibt es traumatherapeutische Konzepte wie das
Expositionsverfahren aus der kognitiven Verhaltenstherapie oder die EMDR-Therapie, bei der über eine
bifokale Stimulation versucht wird, abgespaltene Gedächtnisinhalte wieder zu reintegrieren. Beispielsweise...
So genau wollte ich es gar nicht wissen (lacht). Könnte man auch Medikamente geben?
Generell ist die Psychotherapie das Mittel der 1. Wahl. Medikamente können aber begleitend gegeben
werden (Amtsärztin wirkt nicht glücklich mit meiner Antwort und ich füge hinzu). Also eine alleinige
Therapie mit Psychopharmaka ist nicht zu empfehlen.
Das ist eher abhängig von der Schwere der Ausprägung und daher schwierig so allgemein zu sagen.
Aber welche Medikamente würden hier denn in Frage kommen?
Da fallen mir Benzodiazepine ein, die man bei heftigen Erregungszuständen kurzzeitig geben könnte
(Amtsärztin verzieht skeptisch die Lippen). Je nach klinischem Bild könnten auch Antidepressiva
Anwendung finden (sie reagiert erleichtert auf diese Antwort).
Was gibt es denn da für unterschiedliche Formen von Antidepressiva?
Es gibt einerseits die trizyklischen Antidepressiva der alten Generation und auf der anderen Seite die besser selektiv wirkenden Antidepressiva der neueren Generation.

Können Sie mir bitte ein Beispiel für ein Antidepressivum nennen?
Da fällt mir etwa Amitriptylin ein.

Was bewirkt eine Einnahme dieses Medikaments?
Die trizyklischen Antidepressiva wirken als Wiederaufnahmehemmer auf die präsynaptische Nervenzelle. Sie verhindern, dass Neurotransmitter dorthin zurück aufgenommen werden, womit sich die Konzentration des Botenstoffs im synaptischen Spalt erhöht. Das Nebenwirkungsprofil war bei den Antidepressiva der alten Generation größer, da die Medikamente hier noch nicht gezielt auf den gewünschten Neurotransmitter wirkten, sondern auch andere mitbetrafen (die Ärztin reagiert beeindruckt auf diese Antwort).

Sie haben das Nebenwirkungsprofil angesprochen. Welche Nebenwirkungen sind denn bei den
Antidepressiva der alten Generation aufgetreten?
Da wäre Blutdrucksenkung zu nennen sowie eine mögliche Gewichtszunahme, außerdem Mundtrockenheit, Schwindel und ein Verlust der Libido.

Wie wirken denn Antidepressiva der neueren Generation?
Die wirken ebenfalls als Wiederaufnahmehemmer, aber deutlich besser selektiv, sodass hier in der Regel weniger Nebenwirkungen auftreten. Daher heißen diese auch, wenn sie beispielsweise auf den Serotonin-Spiegel wirken sollen, selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer.
Danke, das genügt mir (Übergabe an den Beisitzer).
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Ich würde gerne noch einmal auf das Thema Sucht zu sprechen kommen. In welchen Stadien der
Behandlung könnten Sie hier als HPP aktiv werden?
Das wäre zum einen die Motivationsphase, da ich jeden Klienten ermutigen könnte sich weiterführende Hilfe zu suchen oder eine Entwöhnungsbehandlung anzutreten. Dazu würde ich in jedem Fall an eine
Suchtberatungsstelle verweisen. Außerdem wäre es möglich, in der Nachsorgephase, also im Anschluss an eine Entwöhnungstherapie, wieder als HPP aktiv zu werden.

Wo herrscht nach Abschluss einer Entwöhnung das größte Risiko für einen Rückfall?
Das wäre in Stresssituationen. Manche Betroffene trinken zur Belohnung, andere in Krisen..-
Nein, das meinte ich nicht. Das spielt ja auf die Suchttypen an. Ich wollte von Ihnen wissen, wo es
generell am kritischsten wird nach einer Entwöhnungsbehandlung?
Die Entwöhnungsklinik mit ihrem geschützten Rahmen bietet für Betroffene zunächst viel Sicherheit und
einen Schutzraum vor alltäglichen Verpflichtungen und Belastungen. Beim Übergang zurück ins häusliche Umfeld fällt dieser schützende Rahmen weg und die Betroffenen müssen sich in ihrer Lebenswelt wieder orientieren und mit den Belastungen zu Recht kommen, die sie dort wieder erwarten. Dieser Übergang ist wohl generell der kritischste Punkt (damit war der Beisitzer sehr zufrieden).

Ein anderes Thema: Was ist der Unterschied zwischen einer Neurose und Psychose?
Eine Psychose geht üblicherweise mit dem Verlust von sozialen und beruflichen Fähigkeiten einher, während diese bei Neurosen in der Regel erhalten bleiben. Außerdem sind psychotische Menschen unbedingt auf Psychopharmaka angewiesen. Diese Notwendigkeit ergibt sich so nicht unbedingt bei Neurosen. Psychosen sind generell die schwersten psychiatrischen Störungen, die wir kennen, da sie mit einem Verlust des Realitätsbezuges einhergehen, was bei Neurosen nicht zu beobachten ist.
Genau. Diesen letzten Punkt mit dem Realitätsverlust wollte ich hören. Der ist wichtig.

Würden Sie denn Menschen mit einer Schizophrenie behandeln?
Es gibt Konzepte, die nach Abklingen der akuten psychotischen Phase eine begleitende und supportive
Unterstützung leisten, da sie jedoch nach meiner eigenen Haltung gefragt haben: Nein, das würde ich nicht (Prüfer lächelt zufrieden).

Können Sie mir denn eine Störung aus dem Bereich der Neurosen nennen?
Da gibt es zum Beispiel die Panikstörung oder die Generalisierte Angststörung.
Gut. Ich werde Ihnen jetzt ein kurzes Fallbeispiel vorlesen. Eine 26-jährige Frau ruft bei Ihnen an.
Nein Moment, es ist die Cousine der Betroffenen, die sich gemeinsam mit ihr bei Ihnen meldet. Sie
erfahren, dass die betroffene Frau Angst verspürt, wann immer sie sich in der Nähe von offenen
Fenstern befindet. Sie fürchtet sich hinausstürzen zu können. Eine ähnliche Angst verspürt die junge
Frau auch, wenn sie spitze Gegenstände wie etwa Messer oder Scheren sieht. Sie fürchtet, sich selbst
damit zu verletzen.

An was denken Sie als Erstes?
Mein erster Gedanke geht in Richtung Zwangsstörung mit Zwangsgedanken.
Danke. Das reicht mir bereits. Wie ernstzunehmend ist denn die Suizidgefahr im vorliegenden Fall?
Das ist eine sehr schwierige Frage für mich... (nach einigem Zögern) Ich möchte das Risiko auf keinen Fall herunterspielen, denke aber, dass das Suizidrisiko hier eher moderat bis gering ist (ich hatte hier riesige Angst als „zu fahrlässig“ zu wirken).
Sehr gut. Wie würden Sie hier therapeutisch vorgehen?

Ich würde mich zunächst um eine stabile und tragfähige Beziehung zur Patientin bemühen, sodass Sie sich in der Therapie sicher und beschützt fühlen kann. Dann würde ich unbedingt Psychoedukation betreiben wollen, sodass...
Das müssen Sie mir bitte näher erklären. Was bedeutet denn Psychoedukation?
Psychoedukation bedeutet, der Patientin zu erklären, was genau sie hat, welche Symptome dazu gehören und dass es sich dabei um eine Erkrankung handelt. Dadurch kann sie Sicherheit und Orientierung gewinnen und zuordnen, welche eventuellen sonstigen Auffälligkeiten in ihrem Leben möglicherweise ebenso zur Erkrankung gehören. Das könnte in einem anderen Fall bei einer depressiven Störung zum Beispiel das Verständnis dafür sein, dass der plötzliche Rückgang an sexuellem Interesse am Partner ebenfalls Teil der Erkrankung sein kann.

Ich verstehe. Und wo findet sich die Zwangsstörung im ICD-10?
In der F42.
Ja, bei den neurotischen Störungen. Etwas anderes: Welche Denkstörungen kennen Sie?
Da gibt es zum einen die formalen und die inhaltlichen Denkstörungen. Ist es Ihnen egal, mit welcher ich anfange?
Beginnen Sie, womit Sie mögen.
Dann beginne ich mit den inhaltlichen Denkstörungen. Hier gibt es die überwertige Idee, den Wahn und...
Was ist denn der Unterschied zwischen der überwertigen Idee und einer Psychose?
Der Wahn ist gekennzeichnet durch 3 Kriterien. Betroffene sind von Wahninhalten absolut überzeugt.
Weiterhin stehen diese mit der objektiven Realität in Widerspruch und sind für Betroffene zudem, auch unter Vorlage von Beweisen, unkorrigierbar. Die Beweise würden dann eher als gefälscht in den Wahn
eingearbeitet werden oder so etwas.

Wie ist es bei der überwertigen Idee?
Nun, da sind diese Kriterien nicht erfüllt. Betroffene sind also nicht vollumfänglich von ihren...
Und gehört die überwertige Idee dann zu den inhaltlichen Denkstörungen?
Ich verstehe, wie Sie das meinen (wir lächeln einander an und damit ist es für den Beisitzer auch gut.)
Gut, ich habe keine weiteren Fragen an Sie. Ich danke Ihnen (Übergabe an die letzte Beisitzerin).
(Rückblickend glaube ich, dass der Beisitzer hier einen Fehler gemacht hat, da die überwertige Idee laut doccheck.com durchaus eine inhaltliche Denkstörung darstellt. Ist aber nicht weiter wichtig gewesen.)
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(Die letzte Prüferin war der deutlich schwierigste Teil der Prüfung. Sowohl die Präsentation als auch die
Auswahl der Fragen waren stets herausfordernd und ich wurde kreuz und quer in die Tiefe geprüft.)
So, dann stelle ich Ihnen jetzt noch einige Fragen zu Themen, die sie bereits beantwortet hatten, die
ich aber teilweise als schwammig empfunden habe. Sie sagten vorhin, die Expositionsverfahren
würden zur kognitiven Verhaltenstherapie gehören. Das ist so nicht richtig. Können Sie mir sagen
wieso?
Ich würde sagen, dass Expositionsverfahren durchaus schulenübergreifend genutzt werden können und daher keiner bestimmten...
Das meinte ich nicht. Denken Sie bitte einmal genau nach. Was genau bedeutet denn das „kognitiv“ in
der kognitiven Verhaltenstherapie?
Ah, jetzt verstehe ich. Selbstverständlich gehören Expositionsverfahren zur klassischen Verhaltenstherapie. Dort ist nicht zwingend eine Arbeit mit den Kognitionen der Patienten Teil der Therapie. Ich danke Ihnen für den Wink.
Gerne. Bleiben wir einmal bei der kognitiven Verhaltenstherapie. Sie sprachen vorhin über die PTBS.
Was könnten hier dysfunktionale Überzeugungen sein?
Da fällt mir beispielsweise ein, dass eine Betroffene denken könnte: „Ach, ich werde niemals darüber
hinwegkommen!“.
Gut, das ist sehr richtig. Das wäre eine Überzeugung, die den Therapiefortschritt hemmen könnte.
Noch eine weitere Frage zur PTBS. Manchmal treten diese Flashbacks ja wie aus heiterem Himmel
auf, ohne dass Betroffene wissen wieso. Wie ist das möglich?
Nun, ich denke, es kann auch unbewusste Trigger...
Sehr gut. Trigger. Das ist das Wort, das ich hören wollte. Kommen wir zurück zur Sucht. Sie sagten
vorhin, es gäbe neben der körperlichen Abhängigkeit auch eine psychische Abhängigkeit. Nennen Sie
mir dafür ein Beispiel.
Wenn sich zum Beispiel nach der körperlichen Entzugsbehandlung noch immer Suchtdruck einstellt,
sodass...
Das ist mir nicht genau genug.
Wenn der Betroffene beispielsweise... (hier habe ich mehrmals angesetzt und mir wirklich schwer getan, dann kam ich schließlich darauf). Zum Beispiel wenn ein betroffener Jugendlicher, der schon lange Zeit Cannabis konsumiert, angibt, ohne das Kiffen nicht einschlafen zu können.

Das ist richtig. Also immer, wenn der Suchtstoff für irgendetwas gebraucht wird. So können Sie es sich
merken... Immer, wenn irgendetwas nur mit dem Konsum geht. Gut. Abschließend würde ich mit
Ihnen gerne in ein Rollenspiel gehen. Stellen Sie sich bitte vor, ich wäre Ihre Patientin. Sie haben das
Gefühl, es könnte eine Suizidgefahr bestehen, aber sie fragen natürlich nicht einfach, „Sagen Sie,
wollen Sie sich umbringen?“. Wie gehen Sie zur Ansprache des Themas und der Abklärung praktisch
vor? Ich möchte nichts über Stadien oder den Ringel hören. Eine praktische Abklärung. Haben Sie die
Frage verstanden?
Ja.
Gut. Dann startet das Rollenspiel jetzt.
Ich: Frau Müller-Schmidt, mir kam da gerade ein Gedanke, den ich gerne hier in die Therapie einbringen
möchte. Ich denke, dass das sehr wichtig ist.
Beisitzerin: Natürlich.
Ich: Es ist bekannt, dass Menschen, die solche Belastungen erleben, wie Sie sie mir geschildert haben,
mitunter auch mal den Gedanken haben, dass es besser wäre, sie wären gar nicht mehr da...
Beisitzerin: Ja, ja, das kenne ich.
Ich: ...und dass manche Menschen darüber nachdenken, sich selbst etwas anzutun. Kennen Sie das?
Beisitzerin: Ja, absolut. Also meinem Mann... Den könnte ich manchmal. Also dem würde ich
manchmal wirklich gerne mal die Hölle heiß machen!
Ich: Dem Mann, ja, ich verstehe. Und wie sieht es mit Ihnen selbst aus? Haben Sie auch schon einmal
darüber nachgedacht, sich selbst etwas anzutun? Sich vielleicht sogar das eigene Leben zu nehmen?
Beisitzerin: Ja, auch das. Also vor 5 Jahren... Da habe ich schon Gedanken an Selbstmord gehabt.
Hab' damals auch genau geplant, wie das mit den Stricken und dem Balken auf dem Dachboden
klappen würde.
Ich: Vor 5 Jahren... Wie ist es denn aktuell mit solchen Gedanken?
Beisitzerin: Ja, die kommen schon manchmal.
Ich: Und angenommen, sie würden sich jetzt dazu entschließen, diesen Gedanken zu folgen... Wüssten Sie,
wie sie sich töten würden?
Beisitzerin: Naja, also die Stricke sind noch immer auf dem Dachboden...
Ich: Okay. Wie nah sind die Gedanken Ihnen denn zur Zeit? Oder sind die eher weit weg?
Beisitzerin: Also manchmal, da sind die schon da.
„Gut, wir unterbrechen das Rollenspiel hier. (überlegt kurz)
Nein Moment, wir machen doch noch ein wenig weiter.“
„Moment, das hat mich jetzt etwas rausgebracht. Ich muss mich kurz wieder sammeln.“
„Sammeln Sie sich kurz und fahren Sie dann fort mit der Situationsklärung.“
(ich vergegenwärtige mir die Situation hier noch einmal mit dem Dachboden und den Seilen und
nehme mir einige Sekunden, bevor ich erneut ansetze)
Ich: Mich interessiert vor allem, wie gut Sie sich selbst im Moment steuern und kontrollieren können, Frau
Müller-Schmidt. Angenommen, ich würde Sie bitten mir zu versprechen, sich bis zu unserer nächsten
Sitzung nichts anzutun, könnten sie das dann einhalten?
Beisitzerin: Ja. Also in Zukunft weiß ich nicht so richtig.... Aber bis zur nächsten Sitzung, das geht
sicher.
Ich: Gut. Dann würde ich das mit Ihnen gerne schriftlich...
„Gut, das reicht. Perfekt. Sie haben den Unterschied zwischen einer hochakuten Suizidalität
und Suizidgedanken verstanden. Das hat mir sehr gut gefallen.“
Damit war auf das Rollenspiel beendet und die Zeit der Beisitzerin abgelaufen. Nach genau 30 Minuten war damit meine Überprüfung zu Ende. Ich wurde noch einmal kurz vor die Tür gebeten. Nach kurzer Zeit wurde ich erneut hereingeholt und mir wurde mitgeteilt, dass ich bestanden habe. Alle Anwesenden teilten mir mit, dass Sie von der Prüfungsleistung begeistert waren und das eine der stärksten Leistungen war, die sie jeweils bislang gesehen haben.

Vor allem die Suizidabklärung hätte alle sehr beeindruckt in Anbetracht der Kürze
der Zeit und der ungeplanten Irritation durch die kurze Unterbrechung. Ich war bereits sehr geehrt und freute mich innerlich riesig, als die freundliche Schriftführerin vom Anfang mir mitteilte, man würde mich gerne fragen, ob ich mir vorstellen könnte, bei Engpässen in Zukunft als Beisitzer mitzuprüfen. Jetzt schoss mein Stolz natürlich durch die Decke. Ich gab mein Einverständnis in Zukunft diesbezüglich gerne zur Verfügung zu stehen und verließ strahlend und glücklich den Sitzungssaal.

Moral von der Geschichte: Bereitet euch gut vor und bringt Wissen mit. Macht euch aber auch nicht verrückt (so wie ich im Vorfeld). Ein ruhiges, souveränes Auftreten sind bereits die halbe Miete. Ich habe die Überprüfung als fordernd, aber fair und wohlwollend empfunden und mir wurde (wie nachzulesen) bei kleinen Hängern durchaus auch geholfen. Ganz wichtig: Unmittelbar vor der Prüfung werdet ihr das Gefühl haben, als wäre euer Kopf total leer. Das ist absolut normal, das Wissen ist trotzdem da und wird in der Überprüfung dann wie automatisch aus euch herauskommen.

Ich wünsche euch viel Erfolg und eine faire Prüfung!